Schlicht gebaut, reich verziert.
Kolumne
Text Patti Basler Foto Geri Born

Patti Basler textet, dichtet, slammt und bringt gereimte Ungereimtheiten auf die Bühne.
Die Fassaden, so scheint es, sind anderswo einfach schöner. Farben, Fachwerk, Fabelwesen verzieren die Fassaden rund um den Globus: In Wien scheint manches Haus mit hundert Wassern gewaschen, in Barcelona baut man an der Fassade der Sagrada Familia, dass es die reine Gaudi ist, vielfältige Fenster zieren Hochhausfassaden in Peking und Hongkong, they hadid all!
Das ist doch Inspiration fürs eigene Baudenkmal! Eifrig wird das Baugesuch um Form- und Farbkonzept erweitert und an die Ortsbildkommission geschickt. Doch die bunten Häuschen passen zu Irlands grünen Weiden, die Blockhäuser zu Kanadas Wäldern, die strahlenden Säulen zur Sonne des Südens, die fantastischen Fensterfronten zu Millionen-Metropolen. In Helvetias Gärtchen passt einheimisches Grau-Beige-Weiss mit Flach- oder Giebeldach. Hier baut man lieber auf funktionierende Armaturen als auf Fassaden-Garnituren, lieber auf eine dritte als auf eine Marmor-Säule, lieber auf festen Grund und gutes Fundament als auf grundloses Fun-Ornament.
Nur schon des Ortsbildes wegen müsse man selbst die Regenwassergewinnung in die Tonne treten, dem Fass Ade sagen, der unauffälligen Fassade zuliebe, und nein, das sei nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, vielleicht gehe es ja hinter dem Haus. Ein Balkon müsse nicht reich verziert sein, damit man von dort aus klatschen könne. Wichtig sei doch, was dahinterstecke.
Ja, das sei fast schade, aber auffällige Fassaden zögen Hass und Neid auf sich. Und Hass schade, und man wolle keinen Nachbarschaftsstreit riskieren, sonst bröckle auch die Fassade bald wie der Permafrost auf Helvetiens Gipfeln. Hier sei eben der Unterschied zwischen Menschen und Häusern: Bei den Häusern seien die Fassaden dann schützenswert, wenn sie sehr alt seien. Für junge Bauten gelte das Gesetz der Schlichtheit. Wenn aber das Oberstübchen reich möbliert und das Untergeschoss gut ausgestattet ist, kann uns auch ein langweiliges Äusseres zum Strahlen bringen.
viva. aufbauen.