«Ideen sind wie Kinder»
Interview Isabella Awad Foto zVg.
«Unternehmerisches Schaffen wird auch stark im Herzen und im Kopf gelebt», sagt Simon May, Co-Geschäftsführer des IFJ.
«Unternehmerisches Schaffen wird auch stark im Herzen und im Kopf gelebt», sagt Simon May, Co-Geschäftsführer des IFJ.
Der Weg durch Wind, Strömung und Wellen zum Zielhafen, die sicherste Kletterroute zum Gipfel … Simon May kennt viele Metaphern für den Begriff Strategie. Als Co-Geschäftsführer des IFJ, des Instituts für Jungunternehmen begleitet er jährlich rund 3’000 Neustarter. Ja, eine Strategie sei auch für Start-ups empfehlenswert, sagt er – und gepaart mit Mut, Leidenschaft und Geld könnte etwas draus werden.
Wenn du die vier strategischen Prioritäten von Helvetia anschaust: Könnten diese auch für ein Start-up passen?
Ja, «Kunden-Convenience», «Passendes Angebot», «Profitables Wachstum» und «Neue Chancen», das könnte auch bei neuen Firmen in die Strategie einfliessen.
Wie viele strategische Initiativen ergeben denn Sinn?
Aus meiner Sicht sollten es nicht mehr als eine Handvoll sein. Fokussierung ist eines der wichtigsten Erfolgsmerkmale, bei jungen Unternehmen ganz besonders. Denn die Ressourcen sind stark beschränkt und unternehmerisch muss aus wenig mehr erwirtschaftet werden.
Wie detailliert sollte eine Strategie ausformuliert sein?
Das hängt von der Einfachheit oder Komplexität des jeweiligen Unternehmens ab. Wichtig ist, dass neben dem Management auch jede und jeder Mitwirkende die relevanten Guidelines kennt und bei der täglichen Arbeit vor Augen hat, wohin die Reise gehen soll.

Ein Strategie-Zeithorizont von fünf Jahren – ist das zeitgemäss? Wie flexibel muss man trotzdem bleiben? Laufend korrigieren oder konsequent dranbleiben?
Eine Strategie und ein Businessplan sollten stets drei und mehr Jahre, je nach Branche, in die Zukunft gerichtet sein. Im Operativen braucht es auf jeden Fall Flexibilität, Resilienz, Mut und Adaptionen.
Damit man nicht laufend korrigieren muss: Welche Fehler sollten vermieden werden?
Keine Fokussierung, keine kurzfristige Gewinnoptimierungen, keine professionelle Kommunikation, keinen Plan haben, die Konkurrenz kopieren anstatt kapieren, die Administration vernachlässigen, fehlende körperliche und geistige Fitness und vor allem, den Faktor Zeit und Geld unterschätzen – das alles sind verhängnisvolle Fehler.
«Kundenzentrierung» ist der Begriff der Stunde. Trotzdem beschäftigen sich die Unternehmen noch stark mit sich selber. Was beobachtest du?
Gibt es Aufgaben und Themen, die man ersatzlos streichen könnte? Es sollte so sein, dass beim unternehmerischen Schaffen der Kunde im Zentrum steht. «Der Kunde ist König» geistert schon seit Jahrzenten herum.

Nur muss jedes Unternehmen für sich definieren, wer überhaupt der Kunde ist und was seine relevanten Bedürfnisse sind – und sein werden. Ich beobachte, dass die Allermeisten zu viel wollen. Weniger ist tatsächlich oft mehr!
Welche Rolle spielt das Alter von Gründerinnen und Gründern von Start-ups?
Die Firmengründer, die wir bei unserer täglichen Arbeit begleiten, bewegen sich im Altersspektrum zwischen 14 und 75 Jahren! Je nach Alter braucht eine Gründerin oder ein Gründer unterschiedliche Unterstützung. Es ist niemand zu jung oder zu alt, etwas Neues anzupacken.
Wie mutig und «innovativ» findest du die Unternehmenslandschaft in der Schweiz bzw. in Europa aktuell?
Die Schweiz belegt seit einigen Jahren die vordersten Ränge in den globalen Innovations-Indizes. Wir sind der wettbewerbsfähigste Standort und melden am meisten Patente pro Kopf weltweit an. Eine Studie zeigt, dass die Schweiz in Europa aktuell das einzige Land ist, in dem trotz Corona mehr neue Firmen gegründet werden als in den Vorjahren.
Strategische Partnerschaft mit Helvetia
Helvetia und das IFJ Institut für Jungunternehmen pflegen seit Anfang 2021 eine langfristig ausgerichtete strategische Partnerschaft. Mit dieser Zusammenarbeit stärkt Helvetia ihre Unterstützung und ihre Serviceleistungen für das KMU-Segment. Gemeinsam wollen das IFJ und Helvetia ihre Position als kompetente Partner für Jungunternehmen und KMU weiterentwickeln und so einen nachhaltigen Beitrag zur Förderung der Schweizer Unternehmenslandschaft leisten.
Hat das auch mit den niedrigen bürokratischen Hürden zu tun?
Als Begleiter von jährlich über 3’000 neuen Gründungen stellen wir fest, dass ausländische Gründerinnen und Gründer von der relativ geringen Bürokratie in der Schweiz begeistert sind. Sicher gibt es andere Länder wie Estland oder Dubai, welche sich mit fortschrittlichster E-Governance global ins Rennen gebracht haben. In Bezug auf die Digitalisierung hat die Schweiz noch grosses Potenzial – das erleben wir alle in der aktuellen Situation.
Was können «etablierte» Unternehmen von «Newcomern» lernen?
Gründerinnen und Gründer können in den verschiedenen Lebensphasen des Unternehmens voneinander lernen. Newcomer zeichnet sicherlich ein hohes Mass an Mut und Leidenschaft aus.
Gibt es Start-ups, die bewusst auf eine Strategie verzichten, und wenn ja, warum?
Es gibt sicher viele Start-ups, welche nicht eine explizit definierte Strategie erarbeitet haben. Unternehmerisches Schaffen wird auch stark im Herzen und im Kopf gelebt.
Wie kann man «einfach» bleiben in einer komplexen Welt?
Einfachheit macht unsere Welt wertvoller. Ich beobachte, dass Dinge, die einfach daherkommen, beliebter sind, also solche mit möglichst vielen Funktionen und Features. Gute, nützliche Dinge einfach zu machen, ist meist schwieriger, als sie komplex zu belassen.
Start-ups sind meist auf der Suche nach Geld – inwiefern ist für Investoren eine Strategie relevant?
Relativieren wir: Von den jährlich rund 30’000 «echten» Neuunternehmen in der Schweiz sind lediglich 300 hoch innovative Start-ups mit stark skalierbaren Geschäftsmodellen und internationalen Ambitionen, welche für Investoren interessant sind.
Diese Start-ups haben alle viel in eine Erfolg versprechende Strategie investiert. Für Investoren ist dies natürlich neben dem top Team, dem exzellenten Produkt und dem nachhaltigen Geschäftsmodell enorm wichtig.
Wachstum steht bei den meisten Unternehmen ganz oben, doch wie ernst nehmen Firmen sozial verträgliches Wachstum?
Bei den einen ist es reine Marketing-Fassade, bei anderen, wie z.B. NIKIN welches bei jedem Produktkauf einen Baum pflanzt, ist es zentraler, wenn nicht das Erfolgsrezept.
Inwiefern stehen die «Konzentration auf eine Nische» und «Wachstum» im Widerspruch zueinander?
Das ist überhaupt kein Widerspruch. Wachstum ist stets beschränkt. Doch gibt es genug interessante Nischen, welche mit hochgradig spezialisierten Angeboten erfolgreich bedient werden können.
Sprechen wir von der Work-Life-Balance: Wo zieht der Jungunternehmer die Grenze zwischen Berufs- und Privatleben?
In der aktuellen Situation, in der Arbeitsplatz und Kühlschrank nur ein paar Meter voneinander entfernt sind, ist das schwierig. Tatsache ist, dass Gründerinnen und Gründer die Bereitschaft mitbringen sollten, überdurchschnittlich viel und engagiert zu arbeiten. Ideen, welche mit wenig zeitlichem Einsatz den gewünschten Erfolg bringen, sind zwar wünschenswert, jedoch höchst selten.
Was ist deiner Erfahrung nach letztlich ausschlaggebend für die Entscheidung, ein Unternehmen zu gründen?
Mein persönlicher Leitspruch als Vater und Unternehmer ist «Ideen sind wie Kinder. Die eigenen sind die besten.» Menschen, welche sich auf die unternehmerische Reise begeben, sollten Mut, Leidenschaft und Engagement mitbringen.
Eine positive Entwicklung fällt mir auf: Immer mehr Neugründungen werden von Personen getätigt, die noch einer anderen Beschäftigung, meist im Rahmen eines Angestellten-Verhältnisses, nachgehen. Das zeigt, dass heute oft mit einem geringen Einsatz an Mitteln ein unternehmerisches Vorhaben gestartet und nach und nach ausgebaut werden kann.
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Interessante Links:
www.ifj.ch/Gruendungsboom-setzt-sich-im-ersten-Quartal-2021-fort
www.ifj.ch/Firmengruendungen-Schweiz-2020
www.ifj.ch/Zwei-Drittel-der-Neueintraege-ins-Schweizer-Handelsregister-sind-echte-Jungunternehmen
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