Wenn «einfach» so einfach wäre.
Geht das nicht einfacher? Diese Frage stellen sich Ancus Röhr, Leiter Aktuariat Nicht-Leben und sein Team tagtäglich, um die Verständlichkeit von Berechnungen und das Vertrauen in deren Ergebnisse zu verbessern. Und: Vor den Vereinfachungsmassnahmen ist auch eine altbewährte Formel der Aktuariatswelt nicht gefeit.
Text Sarah Büchel Fotos Barbara Jung
Wo Formeln zum Einsatz kommen, bei deren Anblick einem Laien schwindlig wird, schafft er Klarheit: Ancus Röhr leitet das Aktuariat Nicht-Leben Schweiz und ist ein grosser Fan von Einfachheit. Er und seine vier Aktuare berechnen Schadenrückstellungen, also monetäre Reserven, die Schadenfälle abdecken, bei welchen die Höhe der Schadensumme noch unklar ist. Das Ergebnis sind Schätzungen, die als solche aber natürlich auch unsicher sind und somit ein Risiko bergen. Zur Messung dieses Risikos kommt eine mathematische Formel zum Einsatz.
Geordnetes Chaos
Diese wurde in einer ersten Fassung vom Mathematiker Thomas Mack in den neunziger Jahren veröffentlicht. Als sich durch den Schweizer Solvenztest die Anforderungen veränderten, publizierten die beiden Mathematiker Michael Merz und Mario Wüthrich im Jahr 2007 eine angepasste Version. Zeitgleich machte sich auch Ancus ans Werk, mit einem Ansatz, der nicht auf Wahrscheinlichkeitstheorie fusste, sondern dem Vorgehen eines Ingenieurs entsprach. Erst viel später stellte sich heraus, dass die beiden Formeln auf alle Nachkommastellen genau dasselbe Resultat ergeben. Zufall? «Ich war selbst am meisten überrascht, als sich herausstellte, dass die Merz-Wüthrich-Formel und meine zwar komplett verschieden aussehen, aber aus mathematischer Sicht identisch sind.» Einziger Unterschied: Die Formel von Ancus ist viel kürzer.
Dies vereinfacht die Programmierung sowie das Verständnis der Formel und erleichtert zukünftigen Studierenden der Aktuarwissenschaften das Handwerk. Auch für Helvetia bringt die neuere Formel Vorteile: Im Projekt IFRS 17 ermöglicht sie die Anpassung auf Datensituationen, welche bei der Herleitung von Merz und Wüthrich nicht explizit berücksichtigt wurden.
Einfachheit will verdient sein
Die erste Lösung sei selten die einfachste. Es hilft, zu hinterfragen: Geht das nicht einfacher? «Die Schwierigkeiten besteht darin, den Kern des Problems zu erkennen», meint Ancus. Hat man das geschafft, heisst es Durchhaltevermögen beweisen – so lange eben, bis man die einfachere Lösung gefunden hat. Rückblickend zeigt sich an diesem Beispiel, dass es sich lohnt, einen unkonventionellen Ansatz zu wagen. In diesem Sinn hinterfragt das Aktuariatsteam heute neue und bestehende Prozesse. «Wenn etwas nicht auf einfache Art und Weise erklärt werden kann, ist es oft nicht die effizienteste Lösung», sagt Ancus. Das Aktuariat will keine Blackbox sein, deren Ergebnisse unverständlich sind: «Wenn wir transparent kommunizieren und einfach erklären, bringen wir Licht ins Dunkel unserer komplexen Themen und schaffen Vertrauen in die Berechnungen und die Arbeit des Aktuariats.»
Mario Wüthrich Die Mathematik stellt uns einen grossartigen Werkzeugkasten für die Problemlösung zur Verfügung. Oft können Probleme nur gelöst werden, indem Techniken aus verschiedenen Teilgebieten der Mathematik kombiniert werden. Wie so oft ist die erste Lösung meistens nicht die eleganteste. Vielmehr sollen weitere Leute inspiriert werden, über das Problem tiefer nachzudenken. Die Schönheit von Ancus’ Ansatz liegt in der Einfachheit und Eleganz seiner Herleitung sowie in der Kompaktheit seiner Darstellung. Damit hat er unsere ersten Ergebnisse auf ein Level gebracht, welches erlaubt, das Problem einfach numerisch zu implementieren und es verständlich in die Lehre einzubinden. Dazu möchte ich Ancus ganz herzlich gratulieren!
Das Aktuariatsteam mit Stefan Männle, Ancus Röhr, Dilyan Stoyanov, Yannick Volpez und Jonas Fischer (v.l.n.r.) hinterfragt und vereinfacht in allen Bereichen.
Ancus, wem willst du gerne Danke sagen? viva wird dieser Person in deinem Namen Schoggi überreichen.
Ich möchte mich bei Patric Wangler und seinem Team vom Personalrestaurant an der St. Alban-Anlage bedanken. Die Mittagsmenüs sind immer sehr lecker und das Personal ist ausserordentlich hilfsbereit.