Emotionen wecken, …
… aber die richtigen!
Wer kennt es nicht? Enttäuscht verlässt man wegen der unfreundlichen Bedienung ein Geschäft. Erfahrungen wie diese hinterlassen in der Wahrnehmung der Kundinnen und Kunden Spuren. Es geht auch anders.
Text Anne-Catherine Grunholzer Fotos Jorma Müller, Zürich
Neulich habe ich bei sommerlichen Temperaturen einen Wintermantel angeschaut. Ich zog ihn an, um zu sehen, wie er sitzt und wie er sich anfühlt. Die erste Grösse war ein wenig knapp. Als ich in die nächstgrössere Grösse schlüpfte, kam die Verkäuferin hinzu. Sie war bis dahin in Sichtweite, aber mit dem Arrangieren von Mänteln beschäftigt. Die zweite Grösse passte besser. Der Mantel gefiel mir und ich fragte, ob ich ein Foto machen dürfe, um mir die Anschaffung in Ruhe zu überlegen. Sie meinte, ich müsse mich schnell entschliessen, solche Mäntel gingen jeweils rasch über den Verkaufstresen. Ich dankte ihr. Sie hingegen liess mich ohne Verabschiedung zwischen den Mänteln stehen und kehrte zu ihrer Kollegin zurück. Ich war während der ganzen Zeit die einzige Kundin im Geschäft.
Mitarbeitende erwecken die Identität einer Marke
Weshalb berichte ich von dieser «Hat-die-keine-anderen-Probleme-Episode»? Weil diese Situation typisch für das steht, was alle Firmen mit ihren Marketing-Abteilungen nach Kräften zu bewirken versuchen: Gefühle bei Kundinnen und Kunden zu wecken. Prima – hat bei mir funktioniert! Einfach in die falsche Richtung. Noch eine Weile nach dem Besuch des Geschäfts hatte ich das Gefühl, nicht freundlich bedient worden zu sein.
Und weshalb verwende ich ein Erlebnis aus dem Handel, wo es sich bei Helvetia doch um eine Versicherung handelt? Weil die Herausforderung für Versicherungen, den Kundinnen und Kunden ein positives Gefühl zu vermitteln, noch viel anspruchsvoller ist: ein nicht-physisches Produkt, das gekauft werden muss (weil teilweise obligatorisch), das keine Freude bereitet (man braucht es ja nur im Fall von Ärger) und das oft kompliziert ist.
Wie eine Marke erlebt wird, hängt vom Kontakt zwischen Menschen ab
Die Kundeninteraktion ist bei Dienstleistern der Moment der Wahrheit. In dieser manchmal kurzen Zeitspanne entscheidet sich, ob sich die Kundin oder der Kunde wahrgenommen fühlt. Nebst der tatsächlich erbrachten Dienstleistung kommen zusätzliche Dimensionen hinzu, wie die Emotionalität der sozialen Interaktion. Wenn in der Situation eines Schadenfalls die emotionalen und sozialen Kompetenzen der Mitarbeitenden dürftig sind, dann werden die negativen Emotionen der Kundschaft, die sie bereits durch das Erlebte verspürt, noch verstärkt. Es ist erstaunlich, dass es bei den meisten Interaktionen zwischen Mitarbeitenden und der Kundschaft um die elementaren zwischenmenschlichen Dinge geht, wie den Namen (richtig!) zu nennen (sowohl den eigenen als auch jenen der Kundin oder des Kunden), zuzuhören, Mitgefühl oder Interesse zu zeigen, eine passende Lösung zu suchen oder ein passendes Angebot zu empfehlen. Kundinnen und Kunden erwarten keine supergalaktischen Erlebnisse. Vielmehr wollen sie als Mensch wahrgenommen und respektiert werden und ein Lächeln von Mitarbeitenden geschenkt bekommen.
Die Kundschaft misst das Markenversprechen am Verhalten der Mitarbeitenden. Wenn das Markenversprechen von Helvetia Vertrauen, Dynamik und Begeisterung umfasst, so liegt es an der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter, diese Werte in das dazu passende Verhalten umzuwandeln – beispielweise, wenn ein Schadenfall aufgenommen oder eine Offerte erläutert wird. Besteht eine Diskrepanz zwischen Markenversprechen und gelebtem Markenverhalten, so entsteht für die Kundschaft ein Widerspruch, der das Vertrauen in die Marke schwächt.
Anne-Catherine Grunholzer
ist eine engagierte Führungspersönlichkeit mit Erfahrung in Dienstleistung und Handel (Versicherung und Sportbekleidung). Sie ist Expertin und Gastdozentin für Customer Experience und Behavioral Branding. Die Juristin der UZH mit Executive MBA in General Management der HSG lädt ihre Batterien am liebsten beim Sport, in der freien Natur oder bei einer kreativen Tätigkeit auf.

Positive Führungskultur als Erfolgsfaktor für gelebte Markenidentität
Die Markenidentität ist Ausdruck des gemeinsamen Werteverständnisses in einem Unternehmen. Die Markenidentität bestimmt den Kern – die wesensprägenden Merkmale – einer Marke. Für sich allein bleibt die Marke abstrakt. Erst durch das Denken, Fühlen und Handeln von Mitarbeitenden und das Entscheiden des Managements wird die Marke zum Leben erweckt. Damit diese Verhaltensweisen gezeigt werden können, braucht es nebst einem gemeinsamen Bekenntnis zu den Markenwerten auch eine positive Unternehmenskultur. Die Kultur wird durch jeden Einzelnen in einer Organisation geprägt, die Führungskräfte aber haben eine Vorbildfunktion.
Positive Leadership orientiert sich an den Stärken der Kolleginnen und Kollegen im Team, fördert deren Begabungen, schenkt ihnen Vertrauen und ermächtigt sie mit den erforderlichen Kompetenzen, um in der Kundeninteraktion situationsgerecht die gewünschte Leistung zu erbringen. Führungskräfte sollten Erwartungen und Feedbacks klar kommunizieren und wie Coaches die Verantwortung an die Mitarbeitenden übertragen, damit sie diese in ihrem eigenverantwortlichen Handeln stärken.
«Erst durch das Denken, Fühlen und Handeln von Mitarbeitenden und das Entscheiden des Managements wird die Marke zum Leben erweckt.»
Damit fördern sie die Motivation, die Identifikation mit der Marke und die Loyalität zum Unternehmen. Mitarbeitende, die den Rückhalt und das Vertrauen ihrer Vorgesetzten spüren, sind in der Kundeninteraktion die besten Markenbotschafter:innen, weil sie sich der Marke verpflichtet fühlen und die Werte für die Kundinnen und Kunden in einer unvergleichlichen Art erlebbar machen. Sie lösen das Markenversprechen von Mensch zu Mensch ein und schaffen damit eine Verbindung, die von Vertrauen und Loyalität geprägt ist. Das ist es, was Marketing-Abteilungen konzipieren, Führungskräfte diskutieren, aber schlussendlich die Mitarbeitenden umsetzen. Nur durch sie wird die Identität einer Marke zum Leben erweckt.




Kurioses zur Identität
Verhaltensbiometrische Technologie
Die verhaltensbiometrische Technologie beschäftigt sich mit der Identifikation von Personen anhand ihres Verhaltens und analysiert die individuelle Weise, wie sie mit einem Gerät, einer Website oder einer App interagieren. Verhaltensbiometrie kann genutzt werden, um die Authentizität einer Person zu bestätigen. Zudem ist sie in der Lage zu erkennen, wenn die Identität nicht-menschlichen Ursprungs zu sein scheint oder das Verhalten nicht zum Kontoinhaber passt. Dafür werden verschiedene Aspekte geprüft: wie Benutzer ihr Gerät halten, wie viel Druck sie normalerweise auf den Screen ausüben, in welchem Rhythmus sie tippen oder wie sie die Maus bewegen.