Wir müssen nur wollen.
Kolumne
Text Jeroen van Rooijen Foto Piero Istrice, Zürich

Jeroen van Rooijen
Stilkritiker, Modekolumnist, freier Autor und Berater www.vanrooijen.ch
Stil hat man – oder nicht … Halt! Da greift ein Mundart-Hit zu kurz. Man kann an sich arbeiten, und das ein Leben lang. 2013 sang der damals populäre Schweizer Rapper Bligg ein Lied über das Thema Stil. «’S gaht bestimmt au ohni, doch mit ihm is Lebe schön», versicherte Bligg, «machs mit Stil oder lass es si» – und: «Män hätten oder nöd».
«Stil chamer nöd lerne nei, män hätten oder nöd» – bei diesem Satz lag der rappende Stilberater allerdings falsch. Denn natürlich kann man sich in Stilfragen weiterbilden. So wie man das Autofahren, Bogenschiessen oder Chinesischsprechen lernen kann, kann man sich in Sachen Stil Sicherheit aneignen. Manchen gelingt es besser, anderen weniger – das ist dann das Talent –, aber im Grunde stehen das Arsenal der «Verkleidung» und die dazu gehörenden Lehrmittel allen gleichermassen zur Verfügung.
Meine Aufgabe besteht meist darin, das Zeitgeschehen zu verfolgen, einzuordnen und zu kommentieren – ich bin eine Art Dolmetscher. Die Leute wollen wissen, ob dieses oder jenes nun gut und richtig ist – oder eben nicht. Und weil ich in ästhetischen Dingen offenbar ein gewisses Sensorium habe, kann ich den Leuten helfen, diese Entscheidungen zu treffen. Diese sind nicht ewig gültig – Stil ist immer Ausdruck des Moments. Das Ganze wäre aber nicht zu ertragen, wenn es nicht mit einem Schuss Selbstironie und Humor geschehen würde. Ich bin kein Kabarettist, sondern Stilpapst, dabei aber kein Fundamentalist und Dogmatiker.
Stil ist – im Jahr 2023 erst recht – keine reine Lehre. Jeder darf das Thema nach seinem Gutdünken interpretieren. Es geht mehr um Individualität und Optionen, und weniger um Dos and Don’ts. Die alten Regeln interessieren keinen mehr. Sich selbst und sich treu zu sein gilt als das höchste Gut. Wer den eigenen Stil findet, gilt als einer, der auf der Sonnenseite des Lebens steht.
Blogs und Social Media haben den Diskurs über Stil und Style (ist nicht dasselbe!) in den letzten Jahren enorm bereichert. Jeder kann dazu seine Stimme erheben. Es gibt kein Gesetzbuch, nach dem man sich richten müsste. Jeder darf etwas finden oder empfehlen, ganz nach seinem Gusto. Die Kunst ist aber immer noch diese: den Puls der Zeit zu spüren, Mehrheiten zu finden, bei den Leuten zu sein. Insofern ist Stilkunde wie Politik: Man kann radikal in seiner Ecke stehen – oder versuchen, Allianzen zu schmieden.