Mensch 4.0
Es klingt wie Science-Fiction, wird aber schon bald Realität: Mit neuen Ansätzen aus der Gentechnologie können schwerkranke Körper therapiert und gesunde optimiert werden.
viva hat mit Zukunftsforscher Georges T. Roos und Genom-Editierungs-Spezialist Professor Dr. Gerald Schwank über neue Technologien und deren Auswirkung auf die Lebensqualität gesprochen.
Text Nina Eiber Fotos zVg.
Herr Roos, blickt man als Zukunftsforscher eher positiv oder negativ in die Zukunft?
Die Zukunft wird weder besser noch schlechter, sondern beides zugleich sein. Viele Herausforderungen werden wir meistern, andere nicht, und es werden auch neue auf uns zukommen. Das Paradies wird es auch in der Zukunft nicht geben. Vielleicht ist das auch gut so: Wir Menschen sind Problemlösungs-Wesen. Um glücklich zu sein, brauchen wir Aufgaben, die wir lösen müssen – sei es als Individuum, Gesellschaft, Unternehmen oder Staat.
Wie wird die Gentechnologie unser Verständnis von Lebensqualität verändern?
Wir sind seit bald 20 Jahren in der Lage, unsere DNA zu entschlüsseln. Nun haben wir mit der Genschere CRISPR-Cas (siehe Textbox weiter unten) eine Methode entdeckt, gezielt und sicher einzelne Gene umzuschreiben. Das wird eine grosse Veränderung bringen – im Pflanzenbau, bei Tieren und beim Menschen. Ich nenne diesen Megatrend «Biotransformation» und verstehe ihn als die Fähigkeit, der Biologie ein Upgrade zu verpassen. Ich erwarte, dass wir bald genetisch bedingte Krankheiten heilen und Nutzpflanzen resistenter gegen Schädlinge machen können. Das Instrument ist sehr mächtig – und kann leider auch missbräuchlich eingesetzt werden. Wenn wir Gene gezielt ändern können, können wir theoretisch auch Designer-Babys gestalten.
Was bedeutet Lebensqualität für Sie?
Georges T. Roos
«Beziehungen: die Familie und die Freundschaften. Und die richtigen Kompetenzen und Fähigkeiten, um meine Aufgaben zu lösen.»
Welche aktuellen Forschungsgebiete haben das grösste Potenzial, die Lebensqualität zu verbessern?
Die medizinische Forschung inklusive der Genschere wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Aber auch in der künstlichen Intelligenz (KI) sehe ich grosse Chancen, dass sie unsere Lebensqualität verbessert. Die KI kann uns als Assistentin in verschiedenen Lebensbereichen unterstützen: als Lern-Begleiterin oder intelligenter Gesundheitscoach etwa. Das autonome Fahren wird zudem zu deutlich weniger Unfällen im Strassenverkehr führen.
Was wäre, wenn wir anfangen Intelligenz zu optimieren?
Ich halte dies im Moment für Science-Fiction. Davon sind wir weit entfernt. Aber wenn es einmal möglich würde, wären zentrale ethische Fragen davon betroffen: Führte das zu einer Zweiklassen-Gesellschaft, jene, die ihre Intelligenz technisch aufgerüstet haben auf der einen Seite, die «Normal»-Intelligenten auf der anderen Seite? Würden erstere die Macht und Herrschaft an sich reissen? Hätte nur noch gute Lebenschancen, wer aufgerüstet ist? Wären Eltern unter Druck, ihren Kindern diese Chancen bieten zu müssen?
Was bedeutet es fürs Versicherungswesen, wenn das menschliche Leben optimiert, gemessen und gesteuert werden kann?
Die Versicherten werden länger leben und «transparenter» sein, das heisst Gesundheitsdaten und genetische Dispositionen werden klar ersichtlich sein. Prävention wird massgeschneidert gestaltet werden können. Theoretisch wären individuell unterschiedliche Prämien für Krankenkassen und Lebensversicherungen möglich – allerdings tangiert dies den Gedanken der Solidarität.
Georges T. Roos ist Zukunftsforscher beim ROOS Trends & Futures Institut in Luzern. Als führender Zukunftsforscher der Schweiz analysiert er die treibenden Kräfte des gesellschaftlichen Wandels. Er sieht den Sinn seiner Forschung darin, mithilfe von Zukunftsszenarien fundiertere Entscheidungen für die Zukunft treffen zu können.
Geburtsjahr: 1963
Geburtsort: Basel
Gelebt in: Binningen, Luzern, Sarnen, Iowa (USA), Zürich

Wo werden neue Technologien beim Menschen als erstes in grossem Masse eingesetzt?
In der Gentherapie bei unheilbaren Krankheiten und Erbkrankheiten. Darüber hinaus werden wir mit der Zeit wahrscheinlich vermehrt «Performance Enhancement»-Anwendungen bei gesunden Personen sehen, die sich geistig, psychisch oder körperlich optimieren möchten. Dafür gibt es verschiedene Strategien, wie Biohacking, Doping und Aufrüstung zum «Cyborg» mithilfe von Prothesen und Implantaten. Ich gehe davon aus, dass wir Ersatzteile für Organe oder Gewebe herstellen werden: entweder dadurch, dass aus eigenem genetischen Material das Ersatzteil im Bioreaktor erstellt wird, oder dass natürliche Körperteile durch ein technisches Objekt ersetzt werden, das weit mehr kann als die Implantate, die wir heute kennen, wie etwa ein künstliches Hüftgelenk oder ein Herzschrittmacher. In Zukunft könnten also künstliche Augen, Ohren und Herzen dazukommen, die besser funktionieren als jedes natürliche.
Es klingt so, als könnte das ewige Leben bald Realität werden. Ist das wünschenswert?
Ich persönlich denke, dass Unsterblichkeit reine Science-Fiction ist. Die meisten von uns hängen am Leben. Aber genau diese Endlichkeit macht das Leben so wertvoll. Hinzu kommen noch diverse andere Faktoren wie Ökologie und Dichtestress, die ein ewiges Leben nicht sinnvoll machen. Würden wir ewig leben, bräuchten wir extrem viele Psychopharmaka!
Machen Sie sich Sorgen, dass Gen- und Biotechnologien in die falschen Hände geraten könnten?
Ich bin zuversichtlich, dass wir als Menschheit im Grossen und Ganzen die Weichen richtig stellen werden. Ich mache mir jedoch keine Illusionen: Es wird Menschen geben, die Gen- und Biotechnologie missbrauchen werden. Das schrieb schon Friedrich Dürrenmatt in «Die Physiker»: «Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden». Vollständige Kontrolle darüber, dass nur Gutes damit getan wird, wird also nicht gelingen.

Prof. Dr. Gerald Schwank wurde per 1. August 2019 zum ausserordentlichen Professor für Translationale Neurowissenschaften/ Neuropharmakologie ernannt. Er forscht am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich.
Geburtsjahr: 1980
Geburtsort: St. Pölten (AT)
Gelebt in: Wien, Tübingen, Zürich, Utrecht (NL)
Herr Schwank, Sie forschen an der menschlichen DNA. Was genau machen Sie und wie kamen Sie dazu?
Begonnen habe ich meine Laufbahn in der Stammzellenforschung. Damals haben wir Modelle von Organen im Labor gezüchtet und Krankheitsmodelle generiert, um diese zu untersuchen. Heute fokussiere ich mich auf genetische Krankheiten. Wir entwickeln Werkzeuge basierend auf der CRISPR-Cas-Technologie, mit welchen wir Änderungen an der DNA vornehmen können.
Um welche Krankheiten handelt es sich?
Die Technologie, die wir entwickeln, bietet die Grundlage, mit der im Prinzip alle genetisch bedingten Krankheiten therapiert werden können. Aktuell forschen wir an Krankheiten, welche theoretisch relativ einfach mittels Genom-Editierung geheilt werden können. Das sind Krankheiten, die durch eine Mutation oder Veränderung in nur einem Gen ausgelöst werden und die nur einen Zelltyp – beispielsweise Leberzellen – betreffen. In der Realität ist allerdings auch das sehr schwierig. Unser jetziger Fokus liegt dabei auf Harnstoffzyklus-Erkrankungen. Für diese Leberkrankheiten, die zu schweren Schäden im Gehirn führen können, gibt es kein Medikament. Heute ist die einzige Heilungsmöglichkeit eine Leber-Transplantation.
Was bedeutet Lebensqualität für Sie?
Prof. Dr. Gerald Schwank
«Gute Gesundheit, berufliche Möglichkeiten, ein breites Freizeitangebot für mich und meine Familie und ein kurzer Arbeitsweg.»
Die Gesundheitswissenschaften tragen viel zur Lebensqualität bei. Inwiefern spielt für Sie der visionäre Gedanke mit?
In der Grundlagenforschung geht es in den meisten Projekten um das Lösen von technischen Problemen im Labor. Da wir aber in unserem Labor eng mit Medizinern zusammenarbeiten, fliessen wichtige Impulse aus der Medizin in unsere Arbeit ein. Rede ich mit Ärzten, die Patienten mit genetischen Krankheiten betreuen, dann wird mir die konkrete Auswirkung der Forschung auf das menschliche Leben schnell bewusst. Wir versuchen dort unsere Energie zu investieren, wo Patienten darauf angewiesen sind und wo es noch keine Therapien gibt.
Wo sehen Sie in Ihrem Forschungsbereich das grösste Potenzial?
Vor allem im Bereich der «seltenen Krankheiten». Von diesen Krankheiten gibt es gesamthaft extrem viele. Jede einzelne Krankheit kommt jedoch selten vor. Demzufolge sind das Interesse und die Möglichkeiten der Pharmabranche gering, auf diesem Gebiet zu arbeiten. Als Forscher an der Universität können wir hier Wichtiges leisten.
Prof. Dr. Gerald Schwank
«Wir versuchen dort unsere Energie zu investieren, wo Patienten darauf angewiesen sind und wo es noch keine Therapien gibt.»
Welche Risiken birgt das Genom-Editieren und wie viel Vorsicht ist geboten?
Ein Bereich, in dem Genom-Editierung grosse Chancen, aber auch grosse Risiken birgt, ist die Veränderung von Ökosystemen mittels sogenannter «Gene-drive»-Verfahren – eine spezielle Anwendung von CRISPR-Cas, die sich auf ganze Populationen auswirkt. Der Fall Malaria bietet hierfür ein gutes Beispiel. Bereits heute wäre es möglich, Stechmücken, welche Malaria übertragen, vollständig auszurotten. Umgesetzt wurde diese Lösung aber bis heute nicht, weil nicht alle Risiken vorhersehbar sind. Von insgesamt mehreren Tausend Mückenarten übertragen nur zwei die Krankheit. Es lässt sich jedoch nicht ausschliessen, dass das «Gene-drive»-System von diesen beiden plötzlich auf andere Mückenarten überspringt und auch andere Populationen belastet. Wenn es einmal draussen ist, kann man es nicht so einfach stoppen.
Gibt es andere Beispiele, die den Menschen direkt betreffen?
Ja, Risiken gibt es durch sogenannte «off-target»-Mutationen, welche das CRISPR-Cas-System während einer Therapie erzeugen kann. Das sind unerwünschte Veränderungen in Genen, die wir eigentlich gar nicht modifizieren wollen. Diese Mutationen können dazu führen, dass andere Krankheiten ausgelöst werden. Ich bin allerdings überzeugt, dass wir mit der Zeit auch diese technologischen Probleme lösen werden; dann bleibt die moralische Frage, was erlaubt sein sollte und was nicht.
CRISPR-Cas-Gentechnologie
Das CRISPR-Cas ist eine Methode der Gentechnologie zur Veränderung von DNA-Bausteinen. Das Werkzeug erkennt bestimmte Regionen im Genom, bindet sich daran und erzeugt einen Bruch an der Stelle, die repariert werden soll. CRISPR-Cas gilt als bahnbrechende Technologie, weil sie ein ehemals aufwändiges Verfahren auf schnelle, preiswerte und genaue Weise erledigt.
Wie schätzen Sie die öffentliche Wahrnehmung für Gentechnologie ein?
Die sogenannte somatische Gentherapie, wie wir sie betreiben, ist wenig umstritten. Dieser Ansatz wirkt wie die normale Medizin direkt auf den Patienten. Der Patient entscheidet, ob er die Therapie will, und die Genkorrektur wird nicht weitervererbt. Bei Veränderungen an Sperma und Eizellen wird es jedoch heikel. Bei diesem Ansatz – dem Keimbahn-Editieren – wird eine Änderung an einem Menschen vorgenommen, der noch nicht geboren ist und der die Korrektur theoretisch an seine Nachkommen weitervererben kann. Das Letztere ist im Moment in den meisten Ländern nicht erlaubt.
Wo steht die Schweiz in Bezug auf Genom-Editierung im internationalen Vergleich?
In Europa ist die Schweiz sicher einer der Vorreiter, und es gibt einige Labore, welche sich auf die Entwicklung von neuen CRISPR-Cas-Methoden spezialisiert haben. Allerdings schätze ich, dass 90 % der Entwicklungen momentan aus den USA kommen. Nicht zu unterschätzen ist auch Asien, allen voran China, welches grosse Summen in Genom-Editierung investiert.
viva. leben.