Rechtlich argumentieren, Empathie zeigen.

Text Isabella Awad Fotos Esin Ezer

Colette Ghirardi leitet den Helvetia Rechtsdienst Personenversicherung. Fünf Juristinnen beziehungsweise Anwältinnen beurteilen strittige Fälle im Bereich Unfall/Krankheit. Rechtliches Fachwissen brauchen sie dabei genauso wie medizinisches. Eine Portion Empathie hilft, auch anspruchsvolle Momente zu meistern.

Verletzungen an Knie, Fuss, Hand, Schulter, Wirbelsäule oder Schädel – all das gehört zum Daily Business einer obligatorischen Unfallversicherung (UVG). Bei der Krankentaggeldversicherung (KTG) geht es um den Arbeitsausfall infolge von Erkrankungen wie etwa einem Herzinfarkt, einem Schlaganfall oder einem Rückenleiden. Oft stehen psychische Beschwerden im Vordergrund.

Nach der Übernahme von Nationale Suisse führte Helvetia das UVG-/KTG-Geschäft weiter. So kamen Colette Ghirardi und ihr Team 2015 zu Helvetia und sind heute dem Bereich Nicht-Leben angegliedert.

Interne Einsprache-Instanz

«Jeder Privatversicherer, der UVG betreibt, muss eine interne Einsprache-Instanz haben. Das sind wir im Rechtsdienst Personenversicherung», erklärt Colette Ghirardi. Versicherte können gegen einen Leistungsentscheid der Schadenabteilung formell Einsprache erheben. Diese gilt es dann seriös zu prüfen. Ein Beispiel: Eine 60-jährige Velofahrerin stürzt und fällt aufs Knie; Verdacht auf Meniskusschaden. Bei der MRI-Untersuchung wird eine Arthrose festgestellt. Alles deutet nun darauf hin, dass der Meniskus abnützungsbedingt Schaden genommen hat und nicht aufgrund des Unfalls. Leistungspflichtig ist somit die Krankenkasse. «Im UVG tragen wir den Hut einer Sozialversicherung, nota bene mit strengen Vorgaben an das einzuhaltende Verfahren und die zu erbringenden Leistungen. Dieses Korsett in Helvetia einzubetten, ist ab und an eine echte Herausforderung», sagt Colette Ghirardi.

Auch medizinische Kenntnisse gefragt

Das juristische Handwerk zu beherrschen, ist die Basis eines Rechtsdienstes. Das heisst auch zu wissen, in welche Richtung sich Gesetzesrevisionen und die Rechtsprechung entwickeln. Was das Bundesgericht beispielsweise zum Invaliden-Versicherungsgesetz entscheide, habe Auswirkungen auf ihre Arbeit, betont Colette Ghirardi. Die fünf Juristinnen müssen jedoch auch komplexe medizinische Sachverhalte verstehen können. «Es geht nicht darum, möglichst viele Einsprachen abzulehnen, sondern sie richtig zu beurteilen.» Oftmals erfolgt eine Fallbesprechung mit dem beratenden Arzt – das sind vor allem Orthopäden, Neurologen oder Psychiater.

Einen Entscheid vertreten

Der Rechtsdienst kommuniziert dem Versicherten den Entscheid seiner Überprüfung. Hier sind Stärken im Formulieren und Argumentieren von Vorteil – nicht immer wird ein Entscheid akzeptiert. Dann steht dem Versicherten der Weg ans Gericht offen. Mit Blick auf die Gesamtzahl der Schäden stellt dies jedoch die Ausnahme dar.

Was bedeutet Lebensqualität für Sie?

«Selbstbestimmt mein Leben gestalten zu können und dabei in ein tragfähiges soziales Umfeld Eingebettet zu sein.»

Colette Ghirardi leitet den Helvetia Rechtsdienst Personenversicherung.

Geburtsjahr: 1968

Geburtsort: Laufen

Gelebt in: Delémont, Röschenz

Wie geht es Ihrem Sohn?

«Wir haben es mit Menschen zu tun, nicht mit Sachen», sagt Colette Ghirardi. «Klar verpflichten uns Gesetz und Rechtsprechung, das heisst aber nicht, dass wir keine Empathie zeigen dürfen.» Diesbezüglich erinnert sie sich an das Telefonat mit einer Mutter, die für ihren Sohn anrief. Er war Anfang 20 und hatte sich nach einem Unfall einen «Spitalkäfer» eingefangen. Es drohte eine bleibende Beeinträchtigung beim Gehen. Dass Helvetia nicht endlos Heilungskosten übernimmt, habe sie nach dem Gespräch eingesehen. Was die Mutter aber noch bemerkte: «Sie haben nicht einmal gefragt, wie es meinem Sohn geht.» – «Das ist mir ‹eingefahren› und führte mir wieder vor Augen, dass der oder die Versicherte spüren will: Da beschäftigt sich jemand mit mir und nimmt mein Leid ernst.»

viva. leben.