Selbstverantwortung in der Wunschfabrik.
Die eigenen Ziele und Träume scheinen oft unerreichbar. Alexandra M. Freund, Professorin für Psychologie, erläutert die Erkenntnisse aus der Forschung, die einem dabei helfen können, sie Wirklichkeit werden zu lassen.
Text Sarah Büchel Fotos Chantelle Sheron Jankin, Zürich
Prof. Dr. Alexandra M. Freund ist Professorin für Psychologie an der Universität Zürich. In ihrer Forschungsarbeit beschäftigt sie sich mit motivationaler Entwicklung im Verlauf des Erwachsenenalters, Prozessen erfolgreicher Entwicklung und der Entwicklung selbstbezogener Kognitionen und Emotionen.
Frau Freund, die zentrale Annahme Ihrer Forschung ist jene, dass Menschen ihre Entwicklung aktiv durch die Auswahl und Verfolgung von Zielen mitbestimmen. Können Sie das kurz erläutern?
Ziele spielen eine wichtige Rolle dabei, unsere Handlungen zu lenken und zu motivieren. Also zum Beispiel: Wieso stehen wir am Morgen überhaupt auf? Ohne Ziele gäbe es keinen Grund, das gemütliche Bett zu verlassen. So könnte man etwa das Ziel haben, pünktlich zu einem geschäftlichen Termin zu kommen. Dies ist einem wiederum deswegen wichtig, weil man beruflich vorankommen und Karriere machen möchte. Der berufliche Erfolg könnte dem Ziel dienen, ein ausgefülltes, glückliches Leben zu führen. An diesem Beispiel sieht man, dass Ziele ineinander verschachtelt sind und nicht nur kurzfristige Handlungen leiten, sondern auch langfristige Entwicklungen beeinflussen. Und das nicht nur in Bezug auf die Richtung, die man dem eigenen Leben gibt, sondern auch, welche Fähigkeiten man sich dabei aneignet. Wenn ich zum Beispiel das Ziel habe, Koch zu werden, lerne ich, wie verschiedene Nahrungsmittel zubereitet werden und wie man die Abläufe beim Kochen am besten aufeinander abstimmen kann. Ausserdem lerne ich bei der Ausbildung bestimmte Personen kennen, mit denen ich mich befreunde, über die ich vielleicht meine Lebenspartnerin treffe. Alle diese Dinge bestimmen mit, wie mein Leben verläuft und wie ich selbst mich entwickeln werde.
Ziele scheinen also etwas klar Definiertes zu sein. Wie steht es mit Träumen?
Der Unterschied liegt in der Umsetzung. Träume verfolgt man nicht und sie sind oft nicht realistisch. Sie zeigen aber an, was einem im Leben fehlt, und eröffnen einen gewissen Fantasieraum. Man kann dann versuchen, das, was fehlt, anderweitig in den Alltag einzubauen. Sobald man hingegen eine Idee und einen Plan davon hat, wie man einen Traum in die Wirklichkeit umsetzen kann, wird dieser zu einem Ziel. Die Forschung zeigt, dass es wichtig ist, die Wünsche und Träume mit der Realität zu kontrastieren – sonst schwelgt man in diesen schönen Fantasien, unternimmt aber nichts, um diese in die Realität umzusetzen. Da unsere Träume uns zeigen, was uns fehlt, sind sie wichtig für unsere Zielsetzung. Durch das Kontrastieren der Träume mit der Realität ist es wahrscheinlicher, dass man sich konkrete Ziele setzt, statt vagen Träumen nachzuhängen.
«Sobald man eine Idee und einen Plan davon hat, wie man einen Traum in die Wirklichkeit umsetzen kann, wird dieser zu einem Ziel.»
Wie kann man diese Ziele dann erreichen?
Dazu braucht es Unterziele. Ein übergeordnetes Ziel kann beispielsweise sein, gesund zu bleiben. Da stellt sich zuerst die Frage, was sich die Person darunter vorstellt. Ist das schon durch die Abwesenheit von Krankheit erfüllt? Oder soll man sich auch wohl fühlen? Anhand dessen setzt man konkrete Unterziele. Eines könnte tägliches Joggen sein. Davon erhofft man sich vielleicht ein starkes Herz-Kreislauf-System oder dass man abnimmt.
Das rein praktisch orientierte Unterziel ist sehr wichtig, damit man es auch wirklich in eine Handlung umsetzt. Aber leider macht diese Handlung nicht immer Spass und dann kommt man leicht davon ab. Wenn man es hingegen schafft, dass das konkrete Unterziel einem so viel Spass macht, dass es zum Selbstzweck wird, ist die Wahrscheinlichkeit viel kleiner, dass man es wieder aufgibt. Man muss sich dann fragen: Wie kann ich es hinbekommen, dass das tägliche Joggen nicht nur eine Pflichtübung ist, sondern dass ich es gerne mache? Vielleicht suche ich mir eine schöne Strecke dafür aus oder ich verabrede mich dafür mit einer Freundin, mit der es kurzweiliger ist.
«Nichts wird allein dadurch, dass ich es will, wahr.»
Kann ein Ziel auch problematisch sein?
Ja. Einerseits dann, wenn man mit seinen Zielen aufs falsche Pferd gesetzt hat. Wenn ein Ziel zum Selbstzweck wird und man merkt, dass es dem übergeordneten Ziel nicht mehr dient oder gar schadet, kann es schwierig sein, sich wieder davon zu lösen. Beim Beispiel der Gesundheit kann das der Fall sein, wenn durch das übermässige Laufen die Gelenke Schaden nehmen. Anderseits dann, wenn man nicht mehr sieht, wie die aktuellen Handlungen mit dem übergeordneten Ziel verbunden sind, man also das, was einen ursprünglich angetrieben hat, aus den Augen verliert. Im Beruf ist das beispielsweise der Fall, wenn man sich nur noch mit Terminen herumschlägt und nicht mehr weiss, wieso man das eigentlich alles tut. Das führt oft zu Frustration und Sinnentleertheit. Man weiss zwar, was man tut, aber nicht mehr, warum.
Gibt es eine «Anleitung», um gute Ziele zu setzen und diese Probleme zu vermeiden?
Man sollte sich Ziele nie einzeln anschauen, sondern bezogen auf den Lebenskontext und die anderen Ziele. So können Zielkonflikte weitestgehend vermieden werden. Gewisse Ziele lassen sich besonders gut kombinieren und man schlägt im Idealfall gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Eben zum Beispiel das Joggen mit einer Freundin. So bleibt man fit und kann gleichzeitig die Freundschaft pflegen. Zudem ist es wichtig, klar zu definieren, wann ein Ziel erreicht ist, damit man auch das Erfolgserlebnis der Zielerreichung hat. Auch sollte man sich in bestimmten Abständen fragen, ob es einem wirklich noch wichtig ist, damit man nicht eigentlich überholten Zielen nachhängt.
Zum Schluss: Das Konzept der Manifestation ist momentan ein grosser Trend in den Sozialen Netzwerken. Was halten Sie davon?
Nichts wird allein dadurch, dass ich es will, wahr. So funktioniert das Universum leider nicht. Man muss schon etwas dafür tun. Aber wenn man sich nicht gedanklich mit Dingen beschäftigt, wird sich natürlich auch nichts manifestieren. Das ist ein wenig wie bei den Träumen: Nur ins Universum reinzurufen und zu hoffen, dass etwas passiert, ist leider nicht ausreichend. Aber man muss schon eine Vorstellung davon haben, was man will. Dann kann man wiederum mit konkreten Zielen und Massnahmen an der Verwirklichung arbeiten.