Alles andere als romantisch.
Wer in etablierten Organisationen nach unternehmerischem Denken und Handeln ruft, muss nicht selten mit Zynismus rechnen. Dass die Gestaltung der Zukunft unternehmerische Kraft erfordert, ist dennoch unbestritten. Entscheidend ist die Frage: Gelingt es uns, die Ungewissheit der Zukunft als Chance zur Gestaltung zu verstehen?

Text Daniel Bartl Illustration frimages
Wer kennt sie nicht, die süffig erzählten Unternehmerportraits – geniale Idee, radikaler Wandel und maximaler Erfolg! Wie funktioniert diese romantische Vorstellung von Unternehmertum in Organisationen, in denen Effizienzstreben dominiert, das Einkommen garantiert und Status an Hierarchie gebunden ist? Und auch dieses Verständnis kennen wir: Oft sind mit ‹unternehmerisch› Eigenverantwortung, haushälterischer Umgang mit Ressourcen oder eine ausgeprägte Identifikation mit dem Unternehmen gemeint. Doch erschliessen wir mit diesen Vor- stellungen des ‹Unternehmerischen› schon dessen ganzes Potential?
Ideen zur Handlungsoptionen machen
Dieser Beitrag schlägt vor, unternehmerisches Handeln als pragmatische Aktivität der Zukunftsgestaltung zu verstehen. In den Worten von Scott Shane, einem führenden Vertreter der Entrepreneurship-Studies: «Unternehmerisch handeln bedeutet in disziplinierter Weise Bestehendes zu hinterfragen, neue Wertschöpfungsideen zu entwickeln, sie in Handlungsoptionen zu übersetzen und ausgewählte davon zu realisieren».
Die Grundhaltung dabei: Die Ungewissheit der Zukunft als Chance für Gestaltung zu verstehen. Mögliche ‹Zukünfte› entwerfen Unternehmerisch Agieren be- deutet nicht, zu versuchen, eine ungewisse Zukunft vorherzusagen. Vielmehr geht es darum, unterschiedliche ‹Zukünfte› zu denken und auf diese vorbereitet zu sein. Typisch sind Fragen zum ‹What-if›: Was wäre, wenn wir unser Kernprodukt in einem Jahr aus dem Markt nehmen müssten? Oder was wäre, wenn wichtige Technologien plötzlich um ein Vielfaches günstiger wären? Mögliche Reaktionen auf mögliche ‹Zukünfte› durchzuspielen, steigert die Antwortfähigkeit des Unternehmens. Leicht ist das nicht, denn etablierte Unternehmen entwickeln Kontinuität – und glauben zu wissen, wohin die Reise geht.

Rasches Experimentieren
Unternehmerisches Handeln heisst, Ungewissheit abbauen, indem Intuition durch Ausprobieren überprüft und konkretisiert wird. Alles beginnt mit einer gezielten Frage wie zum Beispiel: Sind Kunden bereit ihre Facebook-Daten offen zu legen, wenn damit Prämienvergünstigungen verbunden sind? Dann gilt es, durch schnelle und einfache Tests Feedback zu bekommen, die Wirkungen präzis zu erfassen und die Lernerfahrungen gemeinsam zu interpretieren. Der Nebeneffekt dabei: Während man durch Experimente mit Tempo und limitierten finanziellen Mitteln neue Erkenntnisse gewinnt, werden durch diese neuen Erkenntnisse zugleich Risiken abgebaut. Entgegen der gängigen Vorstellung, hat unternehmerisches Handeln wenig mit Risikofreudigkeit, aber viel mit Risikoverringerung zu tun.
Ressourcen mobilisieren
Erfolgreich unternehmerisch handeln heisst, für die Beschaffung und Aktivierung der relevanten Ressourcen besorgt zu sein: Zeit, Geld und Wissen, Vertrauen, Legitimation und Handlungsspielräume, Beziehungen, Netzwerke und Kundenzugänge. All diese Dinge sind nicht einfach vorhanden, sondern müssen immer wieder von neuem erarbeitet und eingefordert werden – im Zusammenspiel mit Führungskräften, die bereit sind, Ressourcen zu investieren, Vertrauensvorschüsse zu geben, und das Experimentieren als schnellste Form des Wissensaufbaus zu begreifen. In unternehmerischen Prozessen wird auch die persönliche Widerstandskraft zur wichtigen Ressource: Unternehmerisch agieren heisst Rückschläge, Durststrecken und Sinnkrisen zu verkraften und an diesen Herausforderungen zu wachsen.
Bezug nehmen zum grossen Ganzen
Unternehmerische Initiativen entwickeln per Definition Neues – und schaffen damit in etablierten Unternehmen bewusst ein Spannungsfeld zum Bestehenden. Um von der Organisation als relevante Initiative akzeptiert zu werden, muss dieses Neue zugleich mit Bestehendem verknüpft werden, seien das etablierte Bewertungsmassstäbe (Key Performance Indicators) oder gemeinsam getragene Zukunftsperspektiven. Unternehmerisch handeln heisst, immer wieder von neuem den Bezug zum grossen Ganzen schaffen.

Helvetia transformiert sich unternehmerisch
Auch bei Helvetia findet das Unternehmerische statt – trotz Hierarchien, die unternehmerische Lernprozesse verlangsamen, weil sie Entscheiden und Handeln voneinander trennen. Unternehmerisches Agieren wird an vielen Stellen im Transformationsprozess sichtbar, zum Beispiel im Privatkundengeschäft ‹Partnerbusiness & Innovation›, wo in internationaler Zusammenarbeit neue B2B2C-Geschäftsmodelle in rascher Folge neue Erkenntnisse liefern und die Wirkungen einzelner Schritte systematisch geprüft und reflektiert werden. Oder in grossen Projekten wie NL Trans, wo bereichsübergreifend mit Serien von ‹Sprints› und fokussierten ‹Minimum Viable Products› (MVP) Ungewissheit abgebaut und Risiken minimiert werden.
Unternehmerisch handeln hat also wenig mit romantischen Unternehmergeschichten zu tun, sondern mit pragmatischer Zukunftsgestaltung. Wo kann jede und jeder von uns die Helvetia Zukunft mit Hilfe dieser Praktiken gestalten?
viva. unternehmen.