«Vertrauen gebe ich als Vorschuss».
Seit 1. Mai ist Martin Jara neuer CEO Schweiz bei Helvetia. Er sagt: «Wenn wir jetzt pragmatische Lösungen umsetzen, wo andere nur Herausforderungen sehen, gewinnen wir schnell an Vorsprung.» viva sprach mit ihm über die Zukunft der Assekuranz, über ihn als Chef und was ihn an Jürgen Klopp beeindruckt.
Text Isabella Awad Fotos Florian Brunner
![](https://assets.foleon.com/eu-central-1/de-uploads-7e3kk3/30040/martin_jara_2560.60ebbeef4ef3.jpg?ext=webp)
«Vertrauen gebe ich als Vorschuss».
Seit 1. Mai ist Martin Jara neuer CEO Schweiz bei Helvetia. Er sagt: «Wenn wir jetzt pragmatische Lösungen umsetzen, wo andere nur Herausforderungen sehen, gewinnen wir schnell an Vorsprung.» viva sprach mit ihm über die Zukunft der Assekuranz, über ihn als Chef und was ihn an Jürgen Klopp beeindruckt.
Text Isabella Awad Fotos Florian Brunner
viva: Martin, die Werte von Helvetia sind «Vertrauen, Dynamik, Begeisterung». Was heisst das für dich?
Martin Jara: Mit diesen Werten kann ich mich identifizieren. Vertrauen ist für mich eine Grundhaltung, eine Frage des Menschenbildes. Vertrauen muss sich niemand erst verdienen. Vertrauen gebe ich als Vorschuss. So ticke ich.
Zeichnet dich das auch als Chef aus?
Ich arbeite nahe bei meinen Mitarbeitenden und vertraue darauf, dass sie als Fachleute das richtige tun. Ich fördere und fordere Eigenverantwortung auf allen Ebenen. In Teams sind mir unterschiedliche Sichtweisen wichtig, und dass alle Kolleginnen und Kollegen gehört werden. Partizipation ist für mich elementar. Man muss aber auch spüren, wann Diskussionen beendet und Entscheidungen gefällt werden müssen – wann wir also von der Entscheidungsphase in die Umsetzung übergehen müssen. Ich bin entscheidungsfreudig und übernehme gerne Verantwortung. Es ist mir wichtig, dass sorgfältig gefällte Entscheidungen konsequent umgesetzt werden.
Dann förderst du also unternehmerisches Denken?
Ja. Unbedingt! Wir dürfen in einer Branche arbeiten, die viel Entwicklung zulässt, es tun sich viele Chancen auf. Diese zu nutzen heisst, unternehmerisch voranzuschreiten, auch wenn das Umfeld ungewiss oder sogar widersprüchlich ist. Alle Mitarbeitenden sollen die Möglichkeit haben, die Initiative zu ergreifen, Neues auszuprobieren und nötige Entscheide zu treffen. So können alle zum Erfolg der Helvetia beitragen. Ich erwarte aber auch, dass akzeptiert und entsprechend gehandelt wird, wenn sich etwas als untauglich erweist.
Was ist für dich ein «guter» Mitarbeitender?
Menschen, die sich persönlich verantwortlich fühlen für das Ergebnis ihrer Arbeit und für dessen Wirkung beim Kunden. In der Zusammenarbeit mag ich es, wenn jemand offen und ungeschminkt sagt, was Sache ist. Gerade auch mir gegenüber. Nur so kommen wir gemeinsam weiter.
Was hättest du gerne erfunden?
Das Internet
Was muss dringend noch erfunden werden?
Sehr viele Therapien gegen schwere Krankheiten
Was wird bezüglich Management masslos überbewertet? Was unterschätzt?
Aufbauorganisationen und Strukturen werden überschätzt. Ein Unternehmen lebt von den Menschen, von der Zusammenabeit und der Kultur. Aus meiner Sicht wird der kulturelle Aspekt unterschätzt. Mit Teamgeist und der richtigen Einstellung erreicht man den Gipfel. Das ist in der Wirtschaft so, bei einem Orchester und im Teamsport: Es gewinnt das Staffelteam, welches den Stab optimal übergibt – nicht dasjenige mit den besten Sprintläufern.
Welche Management-Persönlichkeit beeindruckt dich?
Jürgen Klopp, ein Fussball-Manager, der Trainer des FC Liverpool. Wie er sein gesamtes Umfeld auf gemeinsame Ziele ausrichtet, ist einzigartig. Bei Liverpool hat er dafür der ersten Mannschaft alle Mitarbeitenden aus der Clubzentrale persönlich an einer Abendveranstaltung vorgestellt. Er schaffte es so, dass alle – vom Mitarbeitenden in der Clubzentrale bis zum Mittelstürmer – an einem Strang ziehen und alle Beiträge gewürdigt werden. Da sehe ich Parallelen zu unserem Aussendienst mit Kundenkontakt und den Hauptsitzfunktionen.
Warum hast du dich für die Herausforderung als CEO Helvetia Schweiz entschieden?
Ich habe Helvetia aus der Sicht eines Konkurrenten immer positiv wahrgenommen. Das Unternehmen ist gut verankert im Markt.
Vor allem spüre ich bei Helvetia den grossen Willen, passende Lösungen für Kunden zu gestalten im Zusammenspiel von Versicherungstechnik, Prozess und Vertrieb. Dies kam auch in allen Gesprächen über meine Aufgabe sehr klar zum Ausdruck. Verantwortung in dieser laufenden Weiterentwicklung von Helvetia zu übernehmen, reizt mich sehr und ist eine Chance. Diese wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.
Wie hat die Corona-Berichterstattung dieses positive Bild von Helvetia im Markt beeinflusst?
In einer Krise läuft nie alles perfekt – das ist ja das Grundübel einer Krise. Als Helvetia haben wir die neuen gesellschaftlichen Befindlichkeiten im Rahmen der «Pandemie-Diskussion» gleich zu Beginn zu spüren bekommen. Wie wir dann aber darauf reagiert haben, mit welchem Pragmatismus wir nach Lösungen gesucht und sie gefunden haben: Das hat mich sehr beeindruckt. Innert kürzester Frist haben wir unter anderem #Helvetiaunterstützt lanciert oder einen wegweisenden Vergleichsvorschlag für die Gastrobranche vorgelegt. Dies war nur möglich, weil wir als Helvetia unsere Augen auf den Markt gerichtet und unsere Ohren unseren Kunden und Vertriebspartnern geschenkt haben. Wir haben dabei erneut gesehen: Helvetia geniesst weiter ein sehr gutes Image, das wir sorgfältig pflegen müssen.
Kommentiere die drei Statements:
Lieber eine falsche Entscheidung als keine.
Das sehe ich ganz klar so.
50 Prozent Frauenanteil in der Geschäftsleitung ist ein Muss.
Nein, ist es nicht, es können auch 60 oder 70 Prozent sein. Was ohne Kompromiss gilt, ist die richtige Person am richtigen Platz.
«Ich habe nie Marketing gemacht – ich habe immer nur meine Kunden geliebt» (Zino Davidoff)
Sympathisch: der Kunde steht im Zentrum und unsere Leistung wollen wir vom Kunden her denken. Genau darum machen wir bei Helvetia auch Marketing.
Welche Erfahrungen prägen deine ersten Wochen bei Helvetia?
Während der ersten Wochen führte ich viele Gespräche. Ich lernte auf einen Schlag viel Neues kennen: ein neues Umfeld in einem neuen Unternehmen und viele Menschen, mit denen ich sicher sehr gut zusammenarbeiten werde. Erlebt habe ich gemeinsam mit allen Mitarbeitenden eine für uns neue, ungewohnte Situation.
Wie beurteilst du die Assekuranz in der Schweiz – bezüglich Digitalisierung, Innovation...?
Insgesamt sind wir eine sehr erfolgreiche Branche mit hoher Wertschöpfung und wichtigen Dienstleistungen für die Kunden und für die Volkswirtschaft: Risikoabdeckung und Unterstützung in der Altersvorsorge sind Kernbereiche unseres Lebens. Die Branche erlebt aktuell aber einen fundamentalen Wandel mit schrumpfenden Margen und verschärftem Kampf um den Kundenzugang. Zudem müssen wir genau beobachten, wie die Krise die Lebensumstände der Kunden und damit deren Ansprüche an ihre Versicherung verändert. Die erfolgskritische Frage lautet jetzt: Sind wir schnell genug im Aufbau der künftigen Wege zur Interaktion mit unseren Kunden und in der Schaffung passender Lösungen für die Kundenbedürfnisse? Beweglich zu sein, ist DIE Managementherausforderung unserer Branche. Sie war es schon vor der Krise und jetzt umso mehr. Wer erfolgreich ist, unterschätzt diesbezüglich leider oft die Dringlichkeit.
Welche Ziele willst du bei Helvetia für den Markt Schweiz erreichen?
Die Qualität «Einfachheit» für unsere Kunden in die Realität umzusetzen, ist eine Priorität. Die Komplexität unseres Geschäftes dürfen wir die Kunden nicht länger spüren lassen. «Convenience» wird zu einem zentralen Erfolgsfaktor im Versicherungsmarkt. Zudem müssen wir im Kundenzugang neue Wege gehen und beispielsweise Partner finden, deren Kundenbeziehungen wir auch nutzen können. Die Herausforderung ist dabei, diese neuen Wege immer wieder zu verbinden mit dem Kerngeschäft und der Beratung durch unseren Aussendienst.
Was heisst das für Helvetia?
Viele Produkt- und Serviceangebote der Helvetia sind am Markt gut positioniert. Gegen den Strich läuft aktuell allerdings einerseits das Tiefzinsumfeld – insbesondere für die Value Proposition im Lebengeschäft. Andererseits tobt im Nichtleben ein Preiskampf. Und schliesslich gilt es auch noch, mit den Auswirkungen der Corona-Krise umzugehen. Noch können wir nicht in allen Teilen erkennen, was das kommende New Normal, die neue Normalität, für die Volkswirtschaft und für uns als Versicherer heisst. Mit Bestimmtheit werden Pragmatismus, Lösungsorientierung und Marktnähe entscheidende Kompetenzen sein. Diese Kompetenzen sind in der DNA von Helvetia bereits verankert. Wenn wir jetzt pragmatische Lösungen umsetzen, wo andere nur Herausforderungen sehen, gewinnen wir schnell an Vorsprung.
![](https://assets.foleon.com/eu-central-1/de-uploads-7e3kk3/30040/martin_jara_2666.633b259d6386.jpg?ext=webp)
Martin Jara
«Ich bin ein begeisterter Versicherer und immer noch fasziniert von den Möglichkeiten die sich in dieser Branche bieten.»
Familie: verheiratet, zwei Töchter. «Es ist schön zu sehen, wie meine Töchter eigenständige und selbstsichere Menschen werden.»
Energie tanken: Mit Familie und Freunden. Beim Laufen, Skifahren und Golfspielen.
Was benötigen wir dafür?
Zum einen Klarheit, welche Leistungen wir den Kunden bieten und welche Kundenzugänge wir in Zukunft zur Verfügung stellen wollen. Hierzu dient die Strategie. Das ist aber nur 20 Prozent der Miete; 80 Prozent ist das Umsetzen. Hier sind die Mitarbeitenden ausschlaggebend – es braucht das Engagement jeder und jedes Einzelnen.
Der Markt Schweiz war bisher, vor allem im Nicht-Leben, sehr attraktiv. Es wird härter werden – wie trittst du dem gegenüber?
Er ist immer noch attraktiv – auch im europäischen Vergleich. Aber der Wettbewerb nimmt zu. Die Antwort ist: attraktive, passgenaue (Beratungs-) Leistungen für unsere Kunden, technische Exzellenz und Kostendisziplin.
Helvetia hat einen starken Aussendienst, aber auch den führenden Online-Versicherer. Diese Kombination schätzen nicht alle. Was ist dein Tipp?
Zwei Gedanken dazu. Zum einen: Helvetia hält im Nicht-Leben einen Marktanteil von etwa zehn Prozent. Somit stelle ich mir die Frage: Wie «attackieren» wir die anderen 90 Prozent und nicht, wie verteilen wir die zehn Prozent.
Und zum anderen: Ich denke, dass Online und die physischen Kanäle immer mehr zusammenwachsen. Es muss uns gelingen, das Geschäft einander zuzuführen, zielorientiert zu verzahnen. Ich habe höchsten Respekt vor dem Aussendienst, das ist unser wichtigster Wertgenerator. Er muss sich aber einfügen in eine umfassende Customer Journey. Der Wunsch der Kunden, deren Leben nicht «analog» oder «online» funktioniert, ist es, dass die Zugänge zur Helvetia optimal zusammenspielen und ein durchgängiges Kundenerlebnis entsteht – nur das zählt.
Helvetia arbeitet an einer neuen Strategie – inwiefern konntest du schon mitreden?
Ich bin in einer späten Phase dazugekommen und sehr beeindruckt vom Detailierungsgrad dieser Grundlagenarbeit. Ich kann die Inhalte gut mittragen und habe die Möglichkeit genutzt, den einen oder anderen Input zu setzen. Aber wie gesagt: Die Ausarbeitung der Grundlagen macht rund 20 Prozent aus, 80 Prozent ist Umsetzung (lacht). Es wird sehr anspruchsvoll werden, unsere Pläne in die Realität umzusetzen. Da stehen uns noch viele Konkretisierungen und Priorisierungen der Inhalte bevor; und sicher wird es auch noch die eine oder andere Reibung geben. Schliesslich wollen wir sehr ambitiöse Ziele erreichen!!
viva. unternehmen.