Die gemalte Macht.
Rik Beemsterboer malt. Unter anderem überdimensionale Close-ups von Mächtigen in der grossen weiten Welt. Aber auch Burger, Lippen, Bananen auf Holz. Der gebürtige Holländer lebt und arbeitet seit 20 Jahren in der Schweiz. Ein Gespräch über inspirierende Momente, tiefe Blicke und hohe Berge.
Text Isabella Awad Fotos Iris Müller, Fokusclip, St. Gallen
Im Atelier von Rik Beemsterboer im St. Galler Kronbühl sieht es aus, wie es in einem Atelier aussieht: bunte Kaffeetassen, Kerzen, Pinsel und Ölfarbenfläschchen, Krimskrams, inspirierend oder auch weniger. Eine rote E-Gitarre lehnt an einem klasse Portrait von Amy Winehouse. Kaum bin ich über die Schwelle getreten, bietet der Künstler mir Kaffee an. Seine Augen lachen, sie sind blau und strahlen Herzlichkeit aus. Ja, das Thema Augen wird noch Gesprächsstoff liefern.Eine Strategie zu haben, ist Pflicht; dass wir eine entwickeln dürfen, ist Kür. In diesem Sinne: Zu ergründen, «wo wir hinwollen», ist eine «coole» Arbeit.
Bauer oder Künstler
Rik Beemsterboer ist in Holland geboren und mit fünf Geschwistern in Nijmegen aufgewachsen. An der Kunstakademie gefiel es ihm – «vor allem, weil keine Noten verteilt wurden», lacht er.
Er hätte gut fotografiert, aber eigentlich wollte er lieber Bauer werden. Die Fotografie inspirierte ihn immer weniger; auch die Kunstform Video liess er bald bleiben. «Du kannst gut malen», bestärkte ihn sein Professor an der Akademie. Um seine Reiselust mit dem Malen zu verbinden, schrieb er sich an einer Kunstakademie in Indonesien ein. «Wenig inspirierend», beschreibt er die Zeit dort an der Uni. Und so reiste er zusammen mit einem Freund durch Indonesien, entdeckte das Batikmalen und immer mehr die abstrakte Malerei. Zurück in Holland, zog er nach Amsterdam und bestritt seinen Lebensunterhalt mit Malen.
Der Liebe wegen kam er im Jahr 2000 in die Schweiz, nach St. Gallen. So wurde diese Stadt für ihn eine zweite Heimat. Heute malt er im eigenen Atelier in Wittenbach und unterrichtet Werken an einer Primarschule.
Ausstellung «Einblick – Ausblick»
Riks aktuelle (Gruppen-)Ausstellung «Einblick – Ausblick» ist noch bis 21. Januar in der Jedlitschka Gallery in Zürich zu sehen. www.jedlitschka-gallery.ch
Gegen das Vergessen
Ein schreckliches Ereignis führte Rik Beemsterboer 2009 in seiner Malerei zu einem anspruchsvollen Thema: Im März 2009 tötete ein junger Mann in einem Amoklauf 16 Personen an einer Schule im deutschen Winnenden. «Am Tag der Tat quollen die Medien über von Beiträgen. Doch schon kurze Zeit später war dieser Amoklauf keine Zeile mehr wert. Unglaublich!» Das Thema liess ihm keine Ruhe und er begann weitere «Fälle» zu recherchieren, Berichte zu lesen, Bilder zu sichten. «Mir begegneten diese typischen Täterfotos, meist jugendliche Männer. Ich wollte in diese Augen schauen.» Er malte daraufhin Portraits von 25 Amokläufern. «Ich malte gegen das Vergessen.»
Barack, Joe und Angela
Diese Arbeiten waren der Auftakt zu einem speziellen Werkzyklus «Führer und Irreführer». Schwarz-Weiss-Portraits im Grossformat von 180 mal 140 Zentimeter von den Mächtigen dieser Erde, in Öl auf Leinwand: Wladimir Putin, Xi Jinping, Recep Tayyip Erdogan, Donald Trump, Joe Biden, Boris Johnson, Baschar al-Assad, Angela Merkel, Dalai Lama … «Es ist nicht die Politik, die mich zu diesen Arbeiten ‹trieb› – es sind die Augen, als Spiegel der Seele eines Menschen», erklärt der Künstler. «Es ist mir bewusst: was immer ich auch darin entdecke, es ist meine Sicht der Wirklichkeit.» 36 Portraits sind es geworden in den letzten Jahren. Obama sei sein erstes gewesen, Adolf Hitler das schwierigste:
«Seine leeren Augen waren schwer auszuhalten», erinnert sich Rik Beemsterboer. Nebst einer Ausstellung in einer renommierten Zürcher Galerie brachten ihm seine Arbeiten den Werkbeitrag des Kantons und der Stadt St. Gallen ein.
Sind diese Lippen echt?
Riks realistische und hyperrealistische Malerei überrascht. Nebst seiner fragenden, tiefgründigen Seite entdeckt man an ihm auch eine bunte, verspielte Art. An einer Wand im Atelier hängt ein Burger de luxe mit Tomate, Salat, Käse und Zwiebeln. Gemalt auf Holz und ausgesägt. «Bewusst ohne Hintergrund.» Aus dieser Reihe gibt es beispielsweise rote Lippen, einen Kristall und den Tutanchamun. Krass echt. «Als meine beiden Kinder noch klein waren, habe ich oft ihr Spielzeug in überdimensionaler Grösse gemalt: Teddybären oder Playmobilfigürchen», erzählt er. Neueren Datums sind seine Bergbilder. Damit entziehe er sich immer wieder dem Blick der Mächtigen – «Das ist Balsam für meine Seele, die doch etwas gelitten hat», gibt er zu.
Übrigens: Putin, Biden, al-Assad & Co. verkaufen sich weniger gut, einzig Obama hat den Besitzer gewechselt. Und so bleiben sie im Moment bei Rik im Atelier. «Am besten wären sie in einem Museum aufgehoben», sagt er. «Dort könnten sie ihre Botschaft ‹gegen das Vergessen› voll entfalten.»