Marc Rierola und seine Mitarbeiterinnen Vera Weichlinger (links) und Livia Näf erfassen und modellieren Risiken.
Stürmische Zeiten.
Text Sarah Büchel Foto Rita Vollenweider, Zürich
Stürmische Zeiten.
Text Sarah Büchel Foto Rita Vollenweider, Zürich
2021 war trotz eines guten Jahresergebnisses ein NatCat-intensives Jahr mit signifikanten Schäden. Marc Rierola, Leiter Risk Accumulation Specialty Lines bei Helvetia, und sein Team, das aus zwei Meteorologinnen besteht, erfassen und modellieren Risiken, die von Naturkatastrophen ausgehen.
Für jeden Vertrag des Global Engineering & Property Solution Portfolios bei Specialty Lines mit Naturgefahrendeckung berechnet das Team von Risk Accumulation mit verschiedenen Modellen die Wahrscheinlichkeit, dass Naturereignisse wie Stürme, Erdbeben oder Überschwemmungen am versicherten Ort eintreten und wie hoch die zu erwartenden Schäden aus statistischer Sicht sind. Zurzeit sind bei der Modellierung noch viele manuelle Schritte nötig. Bei über 3’000 Verträgen pro Jahr ist das ein hoher Zeitaufwand. Risk Accumulation investiert aktuell viel Zeit in die Automatisierung dieser Prozesse. Ziel ist es, mehr Zeit in die Analyse und weniger in das Erhalten der Resultate zu stecken. Eine Automatisierung würde es idealerweise ermöglichen, bereits vor Vertragsabschluss schnell Risikoabschätzungen zu treffen und diese ins Pricing einfliessen zu lassen.
Risikoabschätzung für das Portfolio Immer wieder werden die Resultate der Modellierung von den Underwritern zu Recht in Frage gestellt. Dann führt das Team sogenannte «deep dives» durch und analysiert die Resultate vertieft mit einem Underwriter oder einer Underwriterin.
Shakemap eines Erdbebens mit Epizentrum vor der Küste Japans.
An dieser Stelle kommt die Expertise der Meteorologinnen und Seismologen im Team wesentlich zum Tragen. Mittels der erwähnten Fortschritte in der Automatisierung nähert sich das Team stetig dem Ziel, diese Modellierungen fast in «real-time» durchführen zu können. Überdies sind die Datenbanken von Risk Accumulation der Ort, an dem eine Übersicht aller von Specialty Lines global geschriebenen Risiken (mit Naturgefahrendeckung) zentral bereitgestellt werden. Die Verträge werden aber nicht nur einzeln, sondern regelmässig als gesamtes Portfolio modelliert. Dies liefert einerseits einen wichtigen Anhaltspunkt dafür, in welcher Höhe sich Helvetia Specialty Lines selbst rückversichern soll, und andererseits kann diese Übersicht zur Steuerung des Portfolios genutzt werden. Gibt es Regionen, in welchen wir überexponiert sind? Gibt es umgekehrt Regionen, in welche wir noch vorstossen können, wo es noch Potenzial gibt?
Exponiert und vulnerabel Auch wenn ein Natural-Catastrophe, kurz Nat- Cat-Ereignis eintritt, kommt Risk Accumulation zum Zug. Eine interaktive Karte gibt Aufschluss über alle von Specialty Lines versicherten Objekte im betroffenen Gebiet und deren Wert. Marc und sein Team versuchen so herzuleiten, wie hoch die zu erwartende Schadensumme ungefähr sein wird. Wichtig ist, dass nicht nur die Lage einen Einfluss auf das Schadenpotenzial eines Objekts hat. Genauso wichtig ist die Vulnerabilität des Objekts. Ein Haus aus Beton ist meistens weniger schadensanfällig als eine Holzhütte. Umgekehrt hat das bestgebaute Haus in einer regelmässig von Hurricanes heimgesuchten Region schlechte Aussichten, von einem Schaden verschont zu bleiben. Man muss sich also auch die Frage stellen, ob ein neues Projekt in einer Region gebaut werden soll, die in den letzten Jahren von Erdbeben verschont geblieben ist. Allein der Fakt, dass in den letzten 30 Jahren in einer Gefahrenzone kein grosses Erdbeben gewirkt hat, schliesst nicht aus, dass bereits morgen die Erde wieder bebt.
Gute und vollständige Daten Bei Specialty Lines werden umfangreiche Corporate & Commercial-Risiken geschrieben. Das können zum Beispiel geerntete Baumwollballen in den USA, Offshore-Windfarmen in der Nordsee, Photovoltaik-Anlagen in Europa oder Strassen- und Tunnelbau in Südamerika sein. Die grösste Herausforderung ist dabei die Datenqualität und deren Format. Kundinnen und Kunden – meist grosse nationale und internationale Firmen – senden ihre Daten in unterschiedlichsten Formaten. Leider gibt es im globalen Markt noch kein festgelegtes, einheitliches Datenformat, das alle verwenden. Die grosse Aufgabe besteht darin, alle Daten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, damit Marc und sein Team ihre Modelle füttern können. «Nur wenn wir die Daten effizient und möglichst fehlerfrei in die Helvetia Systemlandschaft überführen können und keine vergessen gehen, gelingt es uns, die richtigen Schlüsse zu ziehen», erläutert er zum Schluss.
Marc, wenn du Albert Einstein, Heidi Klum oder Jamie Oliver eine Frage stellen könntest: Wem von den dreien würdest du sie stellen und wie lautete die Frage? Ich würde es umdrehen und Albert Einstein fragen, was er mich fragen würde. Aus seiner Antwort könnte man hoffentlich eruieren, was ihn am meisten beschäftigt und warum.